Wenn wir Individualität aberzogen haben

 

Wenn die Individualität der Standardisierung zum Opfer fällt, können wir uns nicht darüber beschweren, dass Mitarbeitende Selbstverantwortung ablehnen.

 

Kennen Sie das folgende Beispiel aus Ihrem Unternehmen?  Sie wünschen sich, dass Ihre Mitarbeitenden bei der Kommunikation mit Ihren Kunden bestimmten Regeln folgen, wofür Sie mehr als nur einen guten Grund haben:

  • Das Sicherstellen eines Mindeststandards 
  • Schonung Ihrer Ressourcen durch eine effizientere Kommunikation mit Ihren Kunden
  • Einsatz von neuen Controllinginstrumenten
  • Reduzierung des Serviceaufkommens zur Erhöhung der vertriebsaktiven Zeit in Ihrem Unternehmen
  • etc.

Was liegt da näher, als einen Prozess zu modellieren, der genau beschreibt, wie und worüber mit Ihren Kunden kommuniziert werden soll. Verständlich ist das allemal, schließlich kann und darf nicht dem Zufall überlassen werden, ob Mitarbeitende  im Sinne des Kunden und des Unternehmens handeln. Einerseits. 

 

Andererseits sind auch wir alle Kunden. Und wollen wir doch mal ehrlich sein. Wie finden wir es, wenn wir uns mit unserem Anliegen an den Prozess des Unternehmens anpassen müssen und das Unternehmen sich nicht umgekehrt an unserem Prozessanspruch orientiert? Wahrscheinlich nicht sonderlich gut - es sei denn, die Dienstleistung kostet nichts oder wir haben die Wahl, uns für mehr Service zu entscheiden. Vielleicht sind wir dann auch gern bereit, einen Obolus dafür zu entrichten. Vor allem, wenn uns ein Mensch begegnet, der uns als Individuum wahrnimmt und behandelt. 

 

Nur, wie oft begegnet uns das wirklich? Viel öfter als eine individuell auf uns und unsere Bedürfnisse ausgerichtete Beratung sehen wir uns doch Standardprozessen gegenüber. Teilweise sogar sehr guten – zugegeben! Gerade, wenn sich unser Anliegen als ein Standardanliegen darstellt. Allerdings kann ich für mich sagen, dass ein Standardanliegen in mir in der Regel auch keinen Wunsch nach einem persönlichen Kontakt auslöst. Den persönlichen Kontakt benötige ich, wenn ich bereits alle Standardlösungen im Netz recherchiert habe und nun einen Menschen brauche, der seine Zeit und Empathie in die Erfüllung meines Wunsches investiert. Und genau dann liegt das Problem… Ich erlebe Weiterleitungen an das Customer Care Center oder an das Qualitätsmanagement – nur erlebe ich dort weder Customer Care noch die Qualität, die ich mir vorstelle. Und das nicht weil der Mitarbeitende nicht motiviert wäre, eine Lösung zu finden. Die seitens des Unternehmens erwünschte durchschnittliche Bearbeitungszeit, das Organisationshandbuch oder das Kompetenztableau ermöglichen einfach nicht den notwendigen Ressourceneinsatz für eine Lösung, die nicht nur mich extrem an das Unternehmen binden würde sondern auch den Mitarbeitenden Stolz und Identifikation schenken würde.

 

Als Unternehmensleitung würde ich jetzt vermutlich entgegnen, dass den Kunden doch am Ende nur interessiert, dass er eine Lösung bekommt oder Preis-Leistung stimmt. Ja, das ist so! Nur wie weit ist das gedacht?

  1. Was passiert, wenn Ihre Unternehmensgeschichte, Regionalität, Mitarbeiterausstattung oder sonstiger Kostenapparat eine Kosteneffizienzstrategie nur begrenzt erlauben? Was, wenn Sie alle Prozesse zwar so gestaltet haben, dass sie lösungsorientiert und vereinheitlicht und damit vermutlich menschenunabhängig und kostensparend digitalisierbar sind, Sie als Unternehmen einen digitalen Vergleich in Preis-Leistung durch Suchmaschinen aber nicht bestehen (können)?
  2. Wer oder was findet wie eine passende Lösung, wenn die Problemschilderung des Kunden den Standardprozess auslösenden Kern nicht trifft oder sein Bedarf schlicht und einfach zu komplex ist? Wer hat dann die Empathie, diesen Kern gemeinsam mit dem Kunden herauszufinden?, Ist das dann noch der auf Standardprozesse gecoachte Mitarbeiter oder der digitale Bot? Das wagen wir zu bezweifeln.
  3. Welche Mitarbeitenden haben bei Prozess- oder Gesprächsleitfäden noch eine intrinsische Motivation, besser als die Benchmark zu sein? Kann das überhaupt passieren, wenn die eigene Individualität überhaupt keinen Einfluss mehr auf das Ergebnis hat?
  4. Weshalb sollten Mitarbeitende selbstverantwortlich handeln, wenn sie  doch eigentlich nur „fremde“ Entscheidungen verantworten sollen?

Durch Standardisierung des Handelns und Verhaltens sinken Identifikation und Verantwortungsgefühl für das Ergebnis. "Nicht Schuld" am Ergebnis zu sein und an jeder Entscheidung Kritik üben zu können, bilden eine angenehme Komfortzone für Ihre Mitarbeitenden – mangelnder Gestaltungswille inklusive.

 

Zukunft mit den Ideen unserer Mitarbeitenden gemeinsam zu gestalten, wird daher nur gelingen, wenn wir ihnen wieder etwas mehr Individualität und Prozessfreiheit geben- zumindest da, wo es die Restriktionen erlauben. 

 

Wir glauben, dass eine Investition in individuelles und empathisches Mitarbeiterverhalten eine Form von Wertschätzung ist, die mit gesteigerter Selbstverantwortung und Wertschöpfung für Ihr Unternehmen belohnt wird. Nicht von einem Tag auf den anderen – insbesondere, wenn die Fremdsteuerung bereits seit Jahren praktiziert wurde – dafür aber stetig und nachhaltig. 

 

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